„Sie“ war gestern: Warum sich immer mehr Unternehmen vom Siezen verabschieden

In der Geschäftswelt gilt es gewisse Regeln einzuhalten. So lehrte uns der Business-Knigge lange Zeit, dass Siezen in der Geschäftswelt zum guten Ton gehört. Inzwischen verabschieden sich jedoch immer mehr Unternehmen vom „Sie“. Wir verraten euch, warum!

„Sie“ als Anrede: Das sagt der Business-Knigge

Der Business-Knigge gibt klare Richtlinien bezüglich der geschäftlichen Anrede vor. Grundsätzlich gilt in der Geschäftswelt die Anrede „Sie“ als Standard. Mit einem „Sie“ ist man somit stets auf der sicheren Seite und begeht keinen Fauxpas.

Heutzutage gilt in vielen Betrieben dennoch das „Du“ als probate Anrede. Flache Hierarchien sollen ein Wir-Gefühl generieren – und Siezen ist in diesem Fall eher kontraproduktiv. Manche Unternehmen haben in ihrer Unternehmenskultur daher gewissermaßen bereits eine „Duz-Kultur“ verankert. Vom Chef bis zum Auszubildenden gilt in diesem Fall das „Du“ als Standard.

Nicht immer wird die Anrede jedoch derart explizit „verordnet“. Viele Arbeitnehmer sind daher unsicher, wann ein „Du“ angebracht ist und wann man besser beim „Sie“ bleiben sollte. Darüber hinaus ist vielen gar nicht klar, wer überhaupt wem das „Du“ anbieten darf. Hier schafft jedoch der Business-Knigge Klarheit. Bis heute gilt laut Knigge: Hierarchie toppt Geschlecht und Alter. Soll heißen: Der Ältere bietet dem Jüngeren das „Du“ an – es sei denn, der Jüngere ist der Chef.

Duz-Regeln für das Geschäftsleben

Die Duz-Regeln für das Geschäftsleben sind also im Business-Knigge klar verankert. Da immer mehr Unternehmen sich vom Siezen verabschieden, gewinnen die Duz-Regeln auch zusehends an Bedeutung. Die wichtigsten „Gesetze“ der Ansprache im Business lauten:

  1. Zwischen Geschlechtern: Die Frau bietet dem Mann das „Du“ an
  2. Zwischen Generationen: Der Ältere bietet dem Jüngeren das „Du“ an
  3. Zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter: Der Ranghöhere bestimmt die Anredeform.

An diese Regeln sollte man sich unbedingt halten! Denn: Ein ungefragtes Duzen kann vom ein oder anderen durchaus als Degradierung interpretiert werden. Und wer möchte seinen Kollegen oder gar seinen Vorgesetzten schon das Gefühl geben, keinen Respekt vor ihnen zu haben!? Die Duz-Regeln nicht einzuhalten, gilt als absolutes No-Go (was man sonst noch vermeiden sollte, könnt ihr unserem Artikel „25 No-Gos am Arbeitsplatz“ entnehmen).

Warum sich immer mehr Unternehmen vom Siezen verabschieden

Einer gemeinsamen Studie der Online-Jobbörse Stepstone und der Personal- und Managementberatung Kienbaum zufolge duzt jeder dritte Angestellte seine Vorgesetzten und Kollegen. Lediglich drei Prozent der 17.000 Fachkräfte, die im Rahmen der Studie zu Hierarchie und Organisationsstruktur in ihrem Unternehmen befragt wurden, gaben an, an ihrem Arbeitsplatz alle Mitarbeiter zu siezen. Das „Du“ ist somit in der Tat auf dem Vormarsch.

Aber warum ist das so? Weshalb setzen immer mehr Unternehmen auf eine neue Duz-Kultur?

✔ „Du“ verstärkt Wir-Gefühl

Nun, immer mehr Unternehmen setzen auf flache Hierarchien. Die Mitarbeiter sollen sich wohlfühlen und Wertschätzung erfahren – und zu eben diesem Wohlbefinden trägt letztlich auch die individuelle Anrede bei. Das „Du“ dient also in erster Linie dazu, ein stärkeres Wir-Gefühl zu generieren.

✔ „Du“ ermöglicht Dialoge auf Augenhöhe

Flache Hierarchien ermöglichen darüber hinaus im Idealfall Dialoge auf Augenhöhe. Damit dies auch tatsächlich gelingt, ist es natürlich von Vorteil, möglichst viele Barrieren aus dem Weg zu räumen – also auch das förmliche „Sie“. Denn ein Dialog auf Augenhöhe fällt beim „Du“ meist gleich viel leichter. Auch, da der Vorgesetzte seinen Mitarbeitern durch das „Du“ quasi einen ersten Vertrauens-Vorschuss gibt und ihnen Wertschätzung entgegenbringt. Denn auch hier zeugt das angebotene „Du“ davon, dass man nur gemeinsam die Unternehmensziele erreichen wird. Man zieht quasi an einem Strang – unabhängig von der Position, die man im Unternehmen innehat. Bei einem „Sie“ wäre der Dialog auf Augenhöhe um einiges schwieriger zu realisieren.

Das „Du“ generiert somit unterschwellig eine gewisse Vertrautheit, wohingegen das „Sie“ eher Distanz erzeugt.

✔ „Du“ ermöglicht effizienteres Arbeiten

Mit dem „Du“ ist also durchaus ein kleiner Hierarchieabbau verknüpft. Und diesen Effekt setzen vor allem jüngere Unternehmen bewusst ein, um mit der Schnelllebigkeit der durch die Digitalisierung geprägten Arbeitswelt Schritt halten zu können. Der Arbeitsmarkt ist heutzutage nun einmal dynamischer denn je, daher müssen oftmals auch schnelle Entscheidungen getroffen werden. Und genau hier stellen sich Hierarchien eben zuweilen als Hindernis dar. Flache Hierarchien ermöglichen in vielen Fällen ein effizienteres Arbeiten, da den Fachkräften bereits eine gewisse Entscheidungsgewalt zukommt. Und genau diese Entscheidungsgewalt soll durch die Duz-Kultur eines Unternehmens symbolisiert werden.

✔ „Du“ als Signal an Kunden, Stake- und Shareholder

Die Etablierung einer Duz-Kultur wirkt jedoch nicht nur unternehmensintern. Auch unternehmensextern symbolisiert das „Du“, dass es in diesem Unternehmen weniger formell zugeht. Und genau diese Außenwirkung nutzen Unternehmen gezielt als Signal an Kunden, Stake- und Shareholder. Unternehmen, bei denen es weniger formell zugeht, zeigen sich besonders mitarbeiternah und wecken dadurch auch bei Außenstehenden Sympathien.

Übrigens:

Ein generelles „Du“ (sowohl unternehmensintern als auch -extern) erleichtert einem Unternehmen auch das E-Mail-Marketing. Unternehmen, die E-Mail-Marketing betreiben, greifen somit nicht nur unternehmensintern, sondern besonders gerne auch unternehmensextern häufig zur Anrede „Du“ und duzen in der Regel auch ihre Kunden. Denn: Beim E-Mail-Marketing gilt es regelmäßig Adressen einzusammeln. Und je weniger Daten man abfragt, desto mehr Abonnenten bekommt man. Ist ein Unternehmen mit seinen Kunden also beim „Du“, reicht jeweils der Vorname für eine persönliche Anrede und es müssen keine weiteren Daten abgefragt werden. Beim „Sie“ hingegen sollten zusätzlich mindestens noch das Geschlecht und der Nachname abgefragt werden, um die richtige Anrede treffen zu können. Zusammen mit der E-Mail-Adresse müssen Kunden in diesem Fall also schon vier Zeilen ausfüllen – und das schreckt durchaus den ein oder anderen ab. Auch in diesem Fall birgt eine generelle Duz-Kultur also ihre Vorteile.

Neue Duz-Kultur: Die Nachteile

Die neue Duz-Kultur birgt somit sicherlich einige Vorteile. Aber: Sie bringt auch Nachteile mit sich. Und diese Nachteile sollen an dieser Stelle natürlich ebenfalls nicht unerwähnt bleiben.

✖ „Du“ kann zu kumpelhaft wirken

Es gibt auch heute noch zahlreiche Branchen, in denen das „Du“ aller Vorteile zum Trotz eher unangebracht ist. In Branchen wie dem Banken- oder dem Versicherungswesen ist beispielsweise auch heute noch eine feinfühligere Anrede-Kultur vonnöten. Hier hat in der Regel noch die Anrede-Regelung des Business-Knigge Bestand (wir erinnern uns: Hierarchie toppt Geschlecht und Alter). Jemanden in diesen klassischen Branchen ungefragt zu duzen, gilt als höchst unprofessionell.

✖ „Du“ kann Unwohlsein hervorrufen

Ein ungefragtes oder zu schnelles Duzen kann dazu beitragen, dass sich das Gegenüber unwohl fühlt. Duzt man jemanden, den man gerade zum ersten Mal trifft, kann dies kontraproduktiv wirken und statt der erhofften Nähe nur noch mehr Distanz erzeugen. Es gilt also zunächst herauszufinden, welche Ansprache angebracht ist. Im Zweifelsfall sollte man besser beim „Sie“ bleiben. Denn: Das Angebot des Duzens ist einer Geburt gleich – einmal in die Welt gebracht, ist es nicht rückgängig zu machen. Ein ungefragtes oder zu schnelles Duzen lässt sich demnach nicht mehr ausbügeln.

✖ „Du“ erzeugt lediglich Pseudonähe

Das „Du“ soll flache Hierarchien symbolisieren und unterschwellig Nähe erzeugen. Diese Nähe könnte jedoch durchaus als Pseudonähe betitelt werden. Denn: An der endgültigen Befehlsgewalt ändern auch die abgeflachten Hierarchien nichts. Wenn es ernst wird, haben letztlich doch nur die wenigen Führungskräfte das Sagen.

✖ „Du“ dient als Verschleierungstaktik

Kritiker bemängeln, dass sich hinter einer Duz-Kultur im Grunde eine Verschleierungstaktik verberge. Denn: Die Machtgefälle bleiben trotz des scheinbar kollegialen Duzens weiterhin bestehen. Das „Du“ verschleiert die bestehenden Hierarchien also lediglich. Auch wenn das „Du“ also ein Wir-Gefühl symbolisieren soll, bestehen innerhalb des Teams nach wie vor unterschiedliche Interessen – bezüglich Bezahlung, Arbeitszeiten, Beförderung etc.

✖ „Du“ erschwert Kritik

Die Duz-Kultur dient dazu, eine gewisse Nähe zu erzeugen. Auch wenn Kritiker hierbei von Pseudonähe sprechen, so geht durch das „Du“ dennoch eine gewisse Distanz verloren. Hieraus ergibt sich jedoch vor allem für die Führungsebene ein Problem. Da mit der Duz-Kultur eine gewisse Vertraulichkeit assoziiert wird, ist es schwerer Kritik zu äußern oder unangenehme Entscheidungen zu überbringen. Um jemanden auf einen Fehler hinzuweisen oder jemandem beispielsweise mitzuteilen, dass er bei einer Beförderung nicht berücksichtigt wurde, ist Distanz wichtig. Duzen ist an dieser Stelle kontraproduktiv.

✖ „Du“ ist nicht umkehrbar

Wie bereits erwähnt, ist Duzen nicht umkehrbar. Zumindest nicht, ohne einen erheblichen Vertrauensverlust zu riskieren und die Mitarbeitermotivation gänzlich in den Keller zu treiben. Daher sollten Unternehmen gut überlegen, ob sie tatsächlich eine Duz-Kultur einführen.

Da „Du“ nicht umkehrbar ist, gilt es gut abzuwägen, ob ein generelles Duzen und die tatsächliche Unternehmenskultur stimmig sind. Denn während in jungen oder kleineren Unternehmen wie z.B. Start-ups ein kollegiales „Du“ durchaus stimmig sein kann, hat es in etablierten, größeren Traditionsunternehmen oftmals einen gekünstelten und unnatürlich Charakter. Denn hat man den Vorgesetzten jahrelang gesiezt, kann das plötzliche „Du“ eher Unwohlsein hervorrufen als Nähe. Bestenfalls sollte das „Du“ also seit Beginn zur Unternehmenskultur dazugehören – und nicht nachträglich „verordnet“ werden.

Übrigens:

Eine Ratgebersammlung zum Thema „Duzen oder Siezen“, die auf stil.de veröffentlicht wurde und der Frage nachgeht, welche Ansprache bei welcher Zielgruppe Wohlbefinden auslöst, kommt nach der Untersuchung von „10 verzwickten Praxisfällen“ zu dem Schluss, dass „zur richtigen Entscheidung jede Menge Fingerspitzengefühl“ gehöre. Letztlich ist die Entscheidung für oder gegen das Duzen demnach immer auch „eine Frage der persönlichen Einstellung“.

Fazit

Ob der Abbau von Formalität gut oder schlecht ist, kann pauschal natürlich nicht beurteilt werden. Entscheidend ist stets die Frage, wie stimmig die Entscheidung für das „Sie“ oder das „Du“ mit der Kultur des Unternehmens ist. Schließlich lassen sich beispielsweise junge Start-ups nicht mit Traditionsunternehmen vergleichen.

Grundsätzlich gilt: Wer mit „Sie“ startet, kann zunächst einmal nichts falsch machen. Im Zweifelsfall sollte man daher der Anrede „Sie“ den Vorzug geben.

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