Eine Generation, die nicht altern will

Alt werden wollen alle. Alt sein? Das will niemand. Kein Wunder: Der gesellschaftliche Blick richtet sich nur auf die Defizite. Das Alter wird assoziiert mit körperlichem Verfall, geistigem Abbau und Bedürftigkeit. In einer unerträglichen Endlosschleife wird der demografische Wandel als Schreckensbild bemüht: Die Geburtenrate sinkt, die Lebenserwartung steigt. Die Menschen werden immer älter. Gleichzeitig nehmen schwere Erkrankungen zu. Die Baby Boomer werden 2030 das Rentenalter erreichen und die Rentenkassen belasten. Schon jetzt herrscht in Deutschland (und vermutlich in der gesamten westlichen Welt) Pflegenotstand. Wie soll es weitergehen, wenn diese gebrechliche, von Demenz gezeichnete Horde in die Pflegeheime strömt?

Selbstverständnis einer Generation

Was bei dieser einseitigen Darstellung gern vergessen wird: Die heutigen 60-Jährigen sind nicht mit 60-Jährigen früherer Generationen gleichzusetzen. Die „Best Ager“, auch Baby Boomer, Generation Gold, Generation 50plus oder Silver Ager genannt, fühlen sich durchschnittlich 10 bis 15 Jahre jünger als ihr biologisches Alter. Auf die Seniorenschiene lassen sie sich nicht abschieben. Senior? Das klingt nach „Essen auf Rädern“, Rollator und Rheumadecke. Best Ager sind nicht alt. Sie sind konsumorientiert, erlebnishungrig, lebenserfahren und fit. Gleichzeitig grenzen sie sich in Lebensweise und Selbstverständnis deutlich von jüngeren Erwachsenen ab. 

Ihrem Empfinden nach stehen sie in der Mitte des Lebens. Beruflich haben sie den ersehnten Aufstieg erreicht, Karriere gemacht. Sie haben sich ihren Platz im Leben erobert. Die Kinder sind erwachsen, in der Regel von zu Hause ausgezogen und führen ihr eigenes Leben. Eventuell vorhandene Schulden sind abbezahlt. Jetzt wird es Zeit, endlich das Leben in vollen Zügen zu genießen und sich etwas zu gönnen, bevor man dafür zu alt ist. Das bedeutet: Hier herrscht ein gigantischer Nachholbedarf. 

Hartnäckig hält sich das Bild des älteren Menschen, der eingefahren Woche für Woche dieselben Produkte einkauft. Aber die oft beschworene Markentreue gilt längst nicht mehr. Jedenfalls nicht in dieser Altersgruppe: Bringt eine andere Marke mehr Vorteile? Dann wechselt die Generation 50plus bereitwillig von einem Produkt zum nächsten. Den Best Ager treibt vor allem ein Ziel: Er will seine Lebensqualität verbessern. Dazu sucht er moderne Dinge, die den Alltag verschönern, verbessern oder erleichtern.

Die Zeichen der Zeit erkennen: Konsumbereitschaft und Kaufkraft der Best Ager nutzen

Wirtschaftlich gesehen stellen die Best Ager eine attraktive Zielgruppe dar: Sie haben finanziell vorgesorgt, Vermögen angespart, Immobilien erworben, vielleicht eine Erbschaft gemacht. Wo Geld ist, ist Kaufkraft. Die Konsumausgaben der über 60-Jährigen haben sich innerhalb von zwanzig Jahren zwischen 1993 und 2013 von 192,2 Milliarden auf 375,3 Milliarden Euro nahezu verdoppelt. Ihr Anteil am privaten Konsum stieg somit von 22,4 Prozent auf 29,7 Prozent. Dabei macht diese Altersgruppe nur 26 Prozent der Bevölkerung aus.

Die Marketing Abteilungen ganzer Industrien, das Party Business, Reiseveranstalter und Fitness Studios werben inzwischen um diese Generation. Im Internet finden sich bereits Geburtstagsprogramme, die auf die fitte Sechziger Generation zurechtgeschnitten sind, sowie Artikel zum Thema Sport im Alter oder Senioren-Reisen. Es ist anzunehmen, dass ältere Käufer auch in anderen Bereichen an Einfluss gewinnen werden, beispielsweise bei Versicherungen, Kosmetik, Gartenprodukten, Heimwerkerbedarf, Gesundheit und Pflege.

Best Ager sind besonders für die Verkäufer von hochpreisigen Waren interessant. Dafür sorgt die Kombination aus Konsumbereitschaft und Kaufkraft. Gleichzeitig müssen ihre besonderen Bedürfnisse, Wünsche und Ansprüche berücksichtigt werden. Denn die Generation 50plus stellt hohe Anforderungen an das Preis-Leistungsverhältnis, die Kompetenz des Verkaufspersonals und den Service. Umfassende Beratung ist das A und O. Das gilt offline genauso wie online. Fühlen sie sich gut aufgehoben, spielt der Preis kaum noch eine Rolle. 

Jüngere Konsumenten lassen sich mit Prestigeobjekten und Trend-Marken ködern. Für Best Ager zählen Funktionalität, Qualität und Haltbarkeit. Sie haben es nicht mehr nötig, soziale Signale durch Konsumprodukte zu setzen. Sie brauchen auch keine Vorbilder zum Kopieren. Sie sind Individuen und wissen genau, wer sie sind. Und was sie wollen. 

Neue Werbung braucht das Land: Mehr Inhalt, bitte!

Marketingverantwortliche, die sich bei ihrer Zielgruppenansprache stur auf die Altersgruppe der 14- bis 49-Jährigen konzentrieren, verpassen wertvolle Chancen. Was nutzt die ausgeprägte Konsumgier jüngerer Generationen, wenn letztendlich die finanziellen Mittel zur Befriedigung der geschickt geweckten Wünsche fehlen? Die Generation der Älteren hegt nicht nur Konsumwünsche. Sie kann sie sich erfüllen. Zeitnah. Sofort. 

Mag sein, dass manche 60-Jährige das vertrauliche „Werbe-Du“ beruhigend finden. Schließlich schafft eine „Sie“-Anrede Distanz und vermittelt unmissverständlich: Du bist alt. Du gehört nicht mehr zu den hippen Konsumenten. Andere Best Ager sind es dagegen leid, dauerhaft im Kumpel-Ton angegangen zu werden. Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen sind beim Abholen dieser anspruchsvollen Zielgruppe gefragt. Ein anderes Problem ist die mit englischen Wörtern und Wortneuschöpfungen durchdrungene Werbesprache. Ältere Konsumenten wünschen sich verständliche Informationen zu den Produkten. Weniger Werbe-Blabla und Marken-Tamtam, dafür mehr Inhalt. Von Hochglanz-Postings überschminkter Teenies, die auf Instagram Fitness-Tee in die Smartphone-Kamera halten, zeigen sie sich unbeeindruckt. So geht’s nicht. Best Ager wissen am besten, was Best Ager sich wünschen. Werbefiguren sollten daher Sympathieträger aus der gleichen Altersgruppe sein. 

Best Ager erreichen

Wer Best Ager erreichen will, muss sie verstehen. Als Generation sind sie an Innovationen interessiert und zeigen sich aufgeschlossen für alles Neue. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nutzen 69 % der Menschen über 65 das Internet täglich oder fast täglich. Laut einer 2017 durchgeführten Befragung greifen 73 % der Informanden zwischen 50 und 64 Jahre auf Online Banking zurück. Diese Zahl ist deckungsgleich mit denen der 14 – 29-Jährigen. Bei den Befragten ab 65 sind es immer noch 59 %, die die neue Technik gern nutzen. Außerdem begeistert sich die Generation 50plus für digitale Technik. Neue Geräte besitzen sie oft vor ihren Kindern. 

Was sie nicht mögen: Anonymität, unübersichtliche Websites mit kleiner Schrift und umständlicher Menüführung, unklare Werbebotschaften, unvollständige Produktbeschreibungen und fremdsprachige Anleitungen. Vor allem sollte das Wort „Senior“ vermieden werden. Wer einen Best Ager erreichen will, muss seine Sprache sprechen. 

Fazit

Best Ager sind der Wirtschaftsfaktor der Zukunft. Bis 2050 wird statistischen Berechnungen zufolge jeder dritte Deutsche älter als 50 Jahre sein. Das bedeutet ein gigantisches Marktpotenzial. Bereits heute verfügt die Generation 50plus nicht nur über die größte Kaufkraft aller Altersschichten, sondern auch über die nötige Freizeit für ausgiebiges Shopping. Die junggebliebenen Älteren investieren einen Großteil ihres Vermögens in Konsumgüter, Freizeitartikel und Reisen. Der wichtigste Maßstab ist für sie die Qualität eines Produkts. 

Es wird Zeit, dieser bislang vernachlässigten Gruppe endlich gerecht zu werden und die Generation 50plus als das zu sehen, was sie ist: eine konsumorientierte, erlebnisbegeisterte heterogene Gruppe aufgeschlossener Menschen in der zweiten Lebenshälfte, die dank ihrer Lebenserfahrung und Reife wissen, worauf es im Leben ankommt.

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